Online-Unterricht? Nein, das ist nichts für mich, …oder?
Dezember 2020, zweiter Lockdown, gerade mal zwei Monate nach Start eines der wenigen Präsenzkurse, die nach dem ersten Lockdown begonnen hatten. Präsenzkurse mit Abstand, Maske und zu Beginn auch noch in zwei Räumen – Corona-Vorschriften!
Präsenzkurse, die zu Unterrichtsformen zwangen, die nichts mit dem zu tun hatten, weshalb ich meine Arbeit liebe. Und die irgendwie auch nicht besser wurden, egal wie oft ich mir einredete, „Besser als gar nichts!“
Dann im Januar der Anruf. „Willst du einen Onlinekurs übernehmen?“
Nein. Will ich nicht. Auf keinen Fall! Ich lehne dieses Unterrichtsmodell ab! Ich brauche Präsenzunterricht! Am Computer zu lernen ist nichts für meine Teilnehmerinnen!
Und nichts für mich. Denn ich habe keine Ahnung wie das geht. Ich habe mich erfolgreich jahrelang um jede Fortbildung zum Smartboardunterricht gedrückt – ich kann ja nicht einmal einen Beamer bedienen. Und jetzt online unterrichten? Quasi Deutschkurs live in Jogginghose und mit Direktschaltung in mein Wohnzimmer? Nee!!! Ohne mich.
Warum auch? Es ist doch nur eine kurze Übergangszeit!
Dachte ich. Wie so viele andere auch.
Da mache ich lieber ein paar ruhige Wochen mit langen Spaziergängen, renoviere endlich das Arbeitszimmer, streiche die Gartenbank, repariere die alte Kommode, baue vegane Regale aus alten Weinkisten für die vegane Frauen-WG meiner Tochter. Als ich anfange Fenster zu putzen, merke ich, dass mir mein Leben irgendwie entgleitet. Dass ein Virus mein Leben aus der Bahn wirft.
Und so rufe ich doch zurück.
„Was muss ich denn machen, in so einem Online-Kurs? Was brauche ich? Und welche Technik muss ich können?“
Alles ziemlich einfach, höre ich. Zoom herunterladen. Passwort eingeben. „Und dann arbeitest du mit dem digitalen Whiteboard. Das ist quasi deine Tafel.“ Das klingt doch relativ simpel. Fast wie im richtigen, analogen, altmodischen Unterrichtsraum. Nur eben am Computer. Und mit einem digitalen Whiteboard.
Zum Glück habe ich Kinder, die studieren. Mein Ältester und meine Tochter kennen Online-Seminare und Vorlesungen, die wissen Bescheid! „Und dieses digitale Whiteboard, das ist wo genau?“
Es ist kein bisschen wie eine richtige Tafel. Die Textteile verrutschen dauernd. Oder verschwinden einfach. Legen sich kreuz und quer übereinander. Und der schlimmste Stressfaktor für mich: Ich sehe meine Teilnehmerinnen nicht, wenn ich die Tafel – pardon, das digitale Whiteboard - beackere. Und die Teilnehmerinnen sehen nur eine weiße Wand mit seltsamen Textteilen, die auftauchen, um dann wie von Zauberhand wieder zu verschwinden….Da muss eine andere Lösung her!
„Also die Kamera zeigt mich und mein Zimmer, richtig?“, Meine Kinder nicken. Nachsichtig. „Habt ihr Dozenten, die mit einer richtigen Tafel Unterricht machen? In euren Online-Vorlesungen?“
Meine Tochter hat keinen. Mein Ältester meint sich zu erinnern, dass es da mal einen Professor gab. „So ein „Oldschool“-Mensch. Ich war aber nur einmal in seiner Vorlesung.“
Langweilig ist genau mein Ding. Kurzentschlossen bestelle ich mir ein Whiteboard. Ein richtiges, analoges Whiteboard. Mit richtigen Stiften und richtigem Schwamm und Kratzern und Schmierstreifen und richtigen Magneten für meine Bilder.
Ich werde einfach Onlineunterricht analog machen!
Der erste Unterrichtstag war entsetzlich.
Ich stand an meiner Tafel. Der analogen. Für den „Oldschool“-Onlineunterricht. Meine Teilnehmerinnen, die teilweise nur mit dem Smartphone dabei waren und sowieso schon ein sehr kleines Sichtfeld und schlechten Klang hatten, sahen meine Körpermitte. Von hinten. Ich stand ja an meiner analogen Tafel.
Und manchmal sahen sie die Katze, beziehungsweise nur ein riesiges, gelbes Auge und ein paar schwarze Schnurrhaare, wenn die neugierige Katze das rote Licht an der Webcam untersuchte.
Sie hörten verhalltes Rauschen, weil die Entfernung vom analogen Whiteboard zum Laptop viel zu groß war.
Mein Laptop zeigte regelmäßig an: Internetverbindung instabil.
Und wenn mein Jüngster in seinem Zimmer in sehr fragwürdigen Homeschooling-Projekten irgendwelche Rapper bei YouTube streamte, zeigte mein Laptop gar nichts mehr an.
Nach diesem Abend musste ich mich entscheiden. Warten, bis Corona vorbei ist und weiter Fenster putzen.
Oder Onlineunterricht. Aber dann richtig.
Ich habe mich für den Onlineunterricht entschieden.
Und alle Leute aktiviert, die sich irgendwie damit auskennen. Meine Kinder. Kolleginnen, die Tipps hatten. Meine Freundin, die regelmäßig Konferenzen per Videoschaltung leitet. Wie ein Puzzle setzte ich mir Stück für Stück das Geheimnis Onlineunterricht zusammen.
Noch immer fehlen mir etliche Teile! Doch ich habe weiter geübt. Einfach alles ausprobiert. Und meinen Weg gefunden. Kein perfekter Weg. Kein Weg ohne Pannen und Fragezeichen und technische Missgeschicke. Doch inzwischen klappt es ganz gut.
Hat sich meine Einstellung zu Onlineunterricht geändert?
Ja. Von Grund auf! Aber ich habe viel dazulernen müssen.
Als allererstes: Sorge für ein stabiles Internet! Der absolute Alptraum – du bist im Unterricht und deine Verbindung wackelt. Man hört nichts, sieht nichts, weiß nicht, was bei den Teilnehmerinnen ankommt. Nach dem ersten Tag habe ich ganz oldschoolmäßig meinen Internetanbieter angerufen. Jetzt habe ich einen deutlich besseren Router und eine sehr viel höhere MBit-Zahl. Und ich habe ein Kabel vom Router direkt in mein Arbeitszimmer verlegt und so auch während der Teenie-Internet-Absaugstunden für Stabilität gesorgt.
Und dann die Vorbereitung. Ich habe gelernt, dass der Onlineunterricht eine völlig neue Vorbereitung braucht. Ich nutze viele technische Möglichkeiten. Ich bereite Liedtexte vor, peppe sie mit Bildern auf oder binde ein knackiges YouTube-Video mit ein. Und dann wird gesungen! Es gibt Filme, Spiele, Bilder, Hördateien – das alles sorgt für einen abwechslungsreichen Unterricht. Ich wechsele meine Methoden in schnellen Abständen, damit es keine reine Bildschirmstarrerei wird.
Ein großes Problem war für mich anfangs das Feedback. Die einzelnen Gesichter der Teilnehmerinnen sind kleiner als ein Passbild. Und wenn ich meine Tafel beschreibe, sehe ich ja die Teilnehmerinnen sowieso nur noch vereinzelt. Also versuche ich zwischendurch immer wieder die Aufmerksamkeit aller zu gewinnen. Mit kleinen Wettbewerben, mit Rätseln, mit Suchbildern und ähnlichem. Und die Gewinner des Tages dürfen sich ein digitales Hütchen aufsetzen.
Das digitale Whiteboard und ich sind keine Freunde geworden. Meine Tafel ist ein Worddokument, das ich über den geteilten Bildschirm für alle sichtbar beschreibe und später auch als Dokument an die Teilnehmerinnen schicken kann. Doch inzwischen arbeite ich gerne mit digitalen Lehrwerken. Die alle ihre Schwächen haben – so wie auch die analogen ihre Schwächen haben. Die aber auch Vorteile haben, die ich inzwischen zu schätzen weiß.
Ich schicke meinen Kurs wieder in Gruppenarbeiten, in Partnerarbeiten – und ich nutze die Möglichkeit, mit Teilnehmerinnen, die neu sind oder besonderen Gesprächsbedarf haben, allein in einem virtuellen Raum in Ruhe zu sprechen. Ohne Hintergrundgeräusche. Ohne Unterbrechungen. Und ich liebe die Stummtaste! Sie ermöglicht feste Ruhezeiten zum Lesen und Schreiben.
Ich habe gelernt, die technischen Möglichkeiten zu nutzen. Und ich freue mich wieder auf meine Arbeit. Ich bin begeistert über die Fortschritte meiner Schülerinnen und ich lerne jeden Tag ein wenig mehr dazu. Und manchmal denke ich, wer weiß, wie es wird? Vielleicht müssen wir diesen Weg länger gehen, als wir alle wollen. Um trotz aller Sorgen und trotz aller Einschränkungen ein paar Stunden am Tag gemeinsam mit unseren Teilnehmerinnen zu lernen und mit ihnen zusammen zu sein. Für mich habe ich entschieden: Wir ziehen das jetzt durch! Mit diesem Zoom und all dem digitalen Kram. Wir zusammen. Mein Kurs, meine Katze und ich.
Auch weil es virtuell ist.
Susanne Clay