Menschen können heilig sein!
Menschen können heilig sein! Ein Beispiel: Die heilige Adelheid
Pfarrer Michael Dörr:
Am 5. Februar 2015 feiern wir in Vilich, Pützchen, ja in ganz Bonn, den 1000. Todestag der heiligen Adelheid. Wer war bzw. ist diese Frau, die um die Wende des 10. Jahrhunderts gelebt hat, was macht sie zu einer Heiligen und welche Bedeutung kann sie auch heute für uns haben – ja hat sie überhaupt (noch) eine Bedeutung? Wieso ist sie heilig? Und: Können auch wir heilig sein bzw. werden?
Adelheid war es nicht in die Wiege gelegt, eine Heilige zu werden, nicht einmal eine Stiftsfrau bzw. Benediktinerin und als solche ein Stift bzw. ein Kloster (später ein zweites in Köln) zu leiten. Erst durch den Tod des Bruders stellt sich für die Eltern die Frage, was aus der Familie wird, da es keine männlichen Erben gibt. Um die Erinnerung an die Familie wachzuhalten, gründen sie ein Stift in Vilich und unterstellen es dem Kaiser, der es neben Quedlinburg, Essen und Gandersheim zu einem Reichsstift mit besonderen Privilegien macht.
Adelheid, im Ursula-Stift zu Köln in allen damals bekannten Lehrfächern ausgebildet – sie konnte nicht nur lesen und schreiben, sie verstand auch Latein, war in Musik ausgebildet und in anderen Fächern – übernahm auf Drängen der Eltern die Leitung des Stiftes. Sie fügte sich, auch wenn sie der Bitte der Eltern zunächst nicht nachkam, das Stift in ein Benediktinerinnen-Kloster umzuwandeln, wie es ihre Schwester Bertrada in Köln leitete, denn, so lesen wir in der Lebensbeschreibung: „Adelheid liebte die schönen Kleider, und Gott verlangt nur ein freiwilliges Opfer“.
In der Leitung des Stiftes erwarb sich Adelheid hohes Ansehen bei den Mitschwestern, den Schülerinnen und der Bevölkerung, für die sie als Äbtissin Sorge trug. Sie pflegte selber Kranke, gab Unterricht, ordnete alle Angelegenheiten des Stiftes und half in vielen Notsituationen, in denen die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten an sie herantraten.
Erst nach dem Tod der Eltern ging sie den Weg weiter von der Stiftsdame zur Klosterfrau und wandelte das Stift Vilich in ein Kloster mit strengeren Regeln um. Der Kölner Erzbischof Heribert erkannte Adelheids Fähigkeiten und Talente und holte sie nach dem Tod der Schwester auch als Äbtissin in das weit über Köln hinaus bekannte Kloster Maria im Kapitol. Fortan leitete sie diese beiden Klöster, und auch dies gelang ihr gut, wie ihre Biografie überliefert.
Nach dem Tod am 5. Februar 1015 setzte sehr schnell die Verehrung Adelheids ein. Menschen strömten zu ihrem Grab und trugen dort ihre Bitten und Anliegen vor, so wie sie es zu Lebzeiten Adelheids getan hatten. Dort erfuhren sie Hilfe und Trost. Viele Wunder geschahen an ihrem Grab und auf ihre Fürbitte, wie wir nachlesen können.
Aber das alles ist lange her. Heute gibt es das Stift und Kloster in Vilich nicht mehr, und die Stifts-/Klosterkirche St. Peter ist nun Vilichs Pfarrkirche, die durch Kriegseinwirkungen nur noch halb so groß ist. Plünderungen lassen im 16. und 17. Jahrhundert den Schrein und die Gebeine der heiligen Adelheid verloren gehen.
Auch wenn sich das Grab Adelheids und der Steinsarkophag noch in der Adelheidiskapelle in Vilich befinden, auch wenn Menschen Jahr für Jahr nach Pützchen zum Brünnchen pilgern, dort wo Adelheid zu Lebzeiten ein Wunder vollbracht haben soll, und sich auf Pützchens Markt die Karussells drehen, bleibt die Frage: Welche Bedeutung hat Adelheid heute noch? Ja, hat sie auch uns Menschen des 21. Jahrhunderts noch etwas zu sagen, hat ihr Leben und Tun Bedeutung für uns? Wieso ist sie eine Heilige?
Für mich schon: denn Adelheid geht ihren Weg im Leben. Sie sucht nach dem, was ihrem Leben Bedeutung gibt. Sie hört auf die innere Stimme und damit auf die Stimme Gottes. Allmählich reift sie zu der Frau heran, die in ihr steckt. Sie entfaltet die Talente, die sie hat. Sie setzt sie ein und vergräbt sie nicht. Sie stellt sich in den Dienst für andere. Sie meistert große Aufgaben in Kirche und Gesellschaft, aber sie tut auch die kleinen Dinge des Alltags gewissenhaft. Sie ist für andere da. Sie entzieht sich nicht der von ihr übernommenen Verantwortung als Äbtissin, die nicht nur für die Schwestern in den beiden Klöstern zuständig ist, sondern auch für die Bevölkerung, die im Verantwortungsbereich der Klöster lebt und arbeitet.
Adelheid ist eine authentische Frau, ein Mensch, durch den Gott wirken kann. Adelheid ist kein perfekter Mensch. Sie hat ihre Ecken und Kanten. Sie lebt auch in keiner heilen Welt, aber sie verändert durch ihr Tun die Welt ein wenig, nämlich dort, wo sie lebt und ihre Aufgaben hat. Mit ihrer Kraft tut Adelheid, was sie kann, um an ihrem Platz im Leben das Licht der Liebe Gottes leuchten zu lassen. Das spüren die Menschen damals. Das können auch wir erfahren, wenn wir uns mit ihrem Leben und Wirken beschäftigen – auch 1000 Jahre nach ihrem Tod.
Was ist aber das Heilige an Adelheid? Nicht allein ihre Frömmigkeit! Das wäre zu wenig. Heilige sind und bleiben Menschen. Paulus schreibt ja: Alle Glaubenden sind Heilige (z.B. 1 Kor 1,2) – so auch wir. Aber dann gilt auch: Sichtbar zu machen, was es bedeutet, Heilige zu sein. Denn dazu fordert Gott auf: „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig!“ (Lev 19,2). Das kann ich am besten dann, wenn ich zu dem Menschen werde, den Gott in mich hingelegt hat, und an dem Ort, wo Gott mich hingestellt hat, mit den Menschen, die er mir gegeben hat.
Adelheid hat genau dies getan: damals, vor 1000 Jahren. Heute sollen wir als Heilige leben und wirken. Eine spannende Aufgabe, wie ich meine. Um heilig zu sein, brauche ich gerade nicht besonders fromm zu sein, sondern ich soll mit meinen Talenten und Fähigkeiten am Reich Gottes mitarbeiten. Dann werden wir, nein, dann sind wir Heilige, denn wir machen die Welt ein wenig heil – so wie Gott es durch uns tun will, ja nur durch uns tun kann. Auch unsere Zeit braucht Heilige: Sie braucht uns, konkret und bereit, wie die heilige Adelheid, Jesus Christus für andere berührbar zu machen. Fangen wir also an, als Heilige zu leben!
Erschienen im Pfarrbrief für den "Seelsorgebereich an Rhein und Sieg", Advent 2014