In meiner Familie treffen verschiedene Traditionen aufeinander. Das „Eiserne Kreuz“ gehörte meinem Großvater väterlicherseits, der im Ersten Weltkrieg als Unteroffizier gekämpft hat. Es ist das Eiserne Kreuz 2. Klasse von 1914 und wurde über fünf Millionen Mal verliehen. Ich habe diesen Großvater nicht kennengelernt. Er starb an einem Herzinfarkt, als mein Va-ter 16 Jahre alt war. Als meine Großmutter in den 70er Jahren starb, tauchte im Nachlass eine Kiste auf, in der diverse Orden meines Groß-vaters lagen. So bin ich an diese Auszeichnung gekommen. Ich weiß nicht, ob mein Großvater einer von den Soldaten war, der bis zum Schluss kriegs-begeistert dabei war oder ob ihm durch die entsetzlichen Erfahrungen an der Front seine Kriegsbegeisterung ausgetrieben wurde. Er hat meines Wissens nach nicht über diese Zeit geredet. Jedenfalls hat mein Vater davon nichts berichtet.
Mein Vater (Geburtsjahr 1935) gehörte zu den sogenannten „Weißen Jahrgängen“, die weder im Zweiten Weltkrieg zur Wehrmacht, noch in der Bundesrepublik zur Bundeswehr eingezogen wurden. Ich habe immer den Eindruck gehabt, dass mein Vater es in gewisser Weise bedauert hat, zu den Jahrgängen zu gehören, die noch nicht zur Bundeswehr eingezogen wurden. Jedenfalls hat er in den 70er und Anfang der 80er Jahre, als sich mein Interesse für Politik und Geschichte entwickelte und wir all-abendliche Diskussionen hatten, immer den Part der Befürwortung der Aufrüstungspolitik der NATO vertreten.
Ich habe für mich schon als 16-jähriger entschieden, dass ich den „Kriegs-dienst“ verweigere. Für mich war damals in den Zeiten atomaren Wett-rüstens zwischen den beiden Blöcken klar, dass ich mit meiner Entschei-dung ein gesellschaftliches Zeichen setzen will. Damals – Anfang der 80er Jahre – war es noch so, dass eine Kriegsdienstverweigerung schon in der ersten Instanz mit einer mündlichen Verhandlung verbunden war. Vom Studienort in Münster musste ich nach Düsseldorf zur Verhandlung fah-ren. Da ich auf jeden Fall pünktlich sein wollte, bin ich viel zu früh losge-fahren und habe vor dem Verhandlungsraum auf dem Gang anderthalb Stunden während der vorausgehenden Verhandlung warten müssen. An dem Tag fanden meiner Erinnerung nach 6 Verhandlungen statt. Ich war der Letzte an diesem Tag. Ich weiß noch, wie irritiert ich war, als ich mit-bekam, wie aus dem Raum Gebrüll nach draußen drang. Deshalb war ich in gewisser Weise darauf vorbereitet, was mich als Szenario erwartete, als ich dann schließlich in den Raum geholt wurde. – Den Vorsitz des Aus-schusses hatte ein Uniformierter – die beiden Beisitzer waren Zivilisten. An den einen Beisitzer habe ich deutliche Erinnerungen, weil er Zeitung las, während ich meine schrift-liche Begründung der Verweigerung vorge-lesen habe und damit schon sein Missfallen ausdrückte. – Im Anschluss prasselten Fragen auf mich ein. Die damals verwendeten Szenarien waren alle ähnlich gebaut: Ich sollte mir vorstellen, dass ich Angehöriger eines Indianerstammes war, der von einem Trupp der US-amerikanischen Kavallerie überfallen wird. Die Soldaten massakrieren reihenweise die Dorfbewohner und ich habe ein Gewehr in der Hand ... Mit diesem Sze-nario wollte man mir das Eingeständnis abringen, dass ich mir sehr wohl vorstellen kann, Waffen zu benutzen. – Ich wusste darum, dass der Ein-satz einer Waffe in Notwehrsituationen nicht als Ablehnungsgrund ge-wertet werden darf – und habe auch nicht ausschließen können, in die-sem Falle eine Waffe zu benutzen. – Danach wurde die Diskussion immer hitziger – und kulminierte darin, dass der besagte Beisitzer mich anschrie: „Ich scheiße auf ihre rosarote Ethik!“ – Ich habe verlangt, dass diese und andere Äußerungen im Protokoll (Grundlage einer möglichen zweiten Verhandlung) festgehalten werden. – Nach anderthalb Stunden wurde ich entlassen und nach kurzer Beratung wieder in den Raum gerufen, wo mir eröffnet wurde, dass ich als KDV anerkannt bin. Im Nachgang habe ich erfahren, dass alle „Prüflinge“, die vor mir an diesem Tag dran waren, durchgefallen sind. – Ich nehme an, dass ich das Glück hatte, dass der Ausschuss ab und zu einen Kandidaten schon in der ersten Instanz aner-kennen musste. - Diese und andere Erfahrungen haben mich in meinem Entschluss nur bestärkt. – Als im Juni 1981 auf dem Hamburger Kirchen-tag die erste große Demonstration der damals sich entwickelnden Frie-densbewegung stattfand, war ich dabei. Das Kreuz auf der Ansteckplaket-te („Fürchtet euch – wehrt euch – der Atomtod bedroht uns alle“) war für mich „mein“ Orden.
So bildet sich mit diesen beiden Kreuzen – die Spannung ab, die meine Familie prägt. T. S.